Jedes zweite Unternehmen in Deutschland will laut einer Bitkom-Umfrage klimaneutral werden – von Rechenzentren wird das von der EU-Kommission schon bis 2030 gefordert. Der European Green Deal wurde gar mit dem Mondflug verglichen. Doch Reiseziele auf Papier verändern noch nicht die (Um-)Welt, erst ihre Umsetzung. Von der Energieeffizienz über Grünstrom bis zur Hardware: Wo stellen sich Hürden, wo gibt es Lösungen, wo noch Nachholbedarf? Eines erscheint klar: konsequent und erfolgreich grün durchstarten, das geht nur gemeinsam.
Moderne Rechenzentren sind ein Kernstück im Maschinenraum der zukunftsfähigen digitalen Transformation. Mit dem Digitalisierungstempo nehmen daher die Initiativen zu, die Weichen auf eine grünere Zukunft zu stellen – von der umweltpolitischen Digitalagenda der Bundesregierung bis zum jüngsten EU-Klimapaket „Fit for 55“. Der im Juli präsentierte Plan will den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 drücken. Ein ambitioniertes Ziel wurde Rechenzentren bereits 2020 gesetzt: Der gesamte ICT-Sektor soll laut einem Papier der EU-Kommission bis 2030 zu 100 % CO2-neutral betrieben werden. Aus eigener Kraft, ohne Emissionszertifikate. Das Ziel ist klar, der Weg nur grob umrissen: „more energy efficient, reuse waste energy, and use more renewable energy sources“. Rechenzentrums-Betreibern, Colocation-Anbietern und Nutzern stellt sich eine entscheidende Klimafrage: Wie lässt sich dies nach aktuellem Stand erreichen?
Mehr Energieeffizienz – eine Frage der Perspektive
Was die Energieeffizienz von Rechenzentren betrifft, bewegt sich schon länger einiges: Der Energiebedarf pro Gigabit Daten ist heute 12-mal geringer als 2010, die CO2-Emissionen durch Strom von Rechenzentren in Europa seit 2015 rückläufig. Zur Darstellung der Energieeffizienz wird die Power Usage Effectiveness (PUE) genutzt, das Verhältnis von Gesamtenergieverbrauch und der aufgenommenen Energie für die IT-Infrastruktur. Der durchschnittliche PUE-Wert der Rechenzentren in Deutschland (ohne Stand-Alone-Server) sank zwischen 2010 und 2020 von 1,98 auf 1,63. Zum Vergleich: Die maincubes Rechenzentren FRA01 und FRA02 am Standort Frankfurt am Main erreichen bereits einen positiven Wert von unter 1,3. Doch ist dieser noch das aussagekräftigste Kriterium – und wie lässt er sich optimieren? Ein Beispiel: Nachts im Rechenzentrum. Von 1.000 Servern sind nur 100 im Volllast-Betrieb, die anderen im „Leerlauf“, da sie von den Nutzern nicht beansprucht werden. Werden die 900 ungenutzten Server nun abgeschaltet, sinkt der Energieverbrauch, was positiv ist, es steigt aber gleichzeitig der PUE-Wert, der häufig als „Richtwert“ für Nachhaltigkeit herangezogen wird. Was ist nun relevanter, PUE-Wert oder Energieverbrauch? Die Diskussion ist seit einiger Zeit bereits in Gange. Alle Ressourcen bestmöglich nutzen, Datacenter auslasten, Kosten verteilen, das ist auch die Devise bei maincubes. Für alle Seiten, aber insbesondere aus Sicht der Colocation-Nutzer, ist dabei von Vorteil, wenn Anbieter belegbar und transparent den Stromverbrauch ihrer Racks kommunizieren. Das erleichtert die Entscheidungsfindung bei der Anbieterwahl und erhöht die Planungssicherheit. Auf dieser Basis und mit weiteren Faktoren lassen sich so letztlich auch gemeinsam Lösungen erarbeiten, wie sich Einsatzzeit und Energieverbrauch von Servern & Co. optimieren lassen.
Eine höhere Effizienz und verbesserte Rechendichte lässt sich zudem mit Anwendungen nach dem Prinzip der Open Compute Project (OCP) erreichen. Als einziges Datacenter in Kontinentaleuropa ist das maincubes Rechenzentrum in Amsterdam (AMS01) bereits als OCP Ready™ zertifiziert. Die Vorteile: Jeder kann Konstruktionsdateien OCP-basierter Hardware zur Produktentwicklung verwenden. Das ermöglicht individuelle Lösungen, die auf unnötige Komponenten verzichten, was Ressourcen schont und Energie und Hardwarekomponenten spart. Facebooks Datacenter in Oregon etwa wurde so 38 Prozent energieeffizienter und 24 Prozent kostengünstiger errichtet. Generell gilt: Neue Hardware belastet Ressourcen. Geräte wie Server und Komponenten lassen sich wiederverwenden, reparieren oder recyclen: Refurbished Hardware ist ein weiterer grüner Hebel in Rechenzentren. Ziehen alle mit, lässt sich in Summe Großes bewirken.
Hotspot Datacenter – ein neuer Einheizer?
Immer mehr Wirtschaftsbereiche werden digitalisiert, gleichzeitig soll alles grüner werden. Das Bundesumweltministerium trifft den Punkt: „Für Umwelt und Klima ist die Digitalisierung zweischneidig.“ Das Ziel: sie umweltfreundlich gestalten und sie gleichzeitig in den Dienst von Umwelt, Klima und Natur stellen. Ein zentraler und ziemlich häufig sehr emotionaler Diskussionspunkt bei Rechenzentren: Abwärme. Könnten mit ihr etwa ganze Städte beheizt werden, wie häufig zu lesen? Und: Wie nachhaltig ist das wirklich? Da zur Nutzung in Fernwärmenetzen ein höheres Temperaturniveau gefordert ist, muss die Abwärme auf ein solches erst mit Wärmepumpen gebracht werden – zunächst einmal ein erheblicher Kosten- und Ressourcenfaktor. Dabei unterstützt die Abwärmenutzung weniger die eigene Energiebilanz, sondern in erster Linie das Ziel der Dekarbonisierung auf dem Wärmesektor. Eine viel effektivere Möglichkeit wäre die Einspeisung in niedrigtemperierte Wärmenetze oder die direkte Anbindung an den Verbraucher (z.B. Gewächshäuser). Für alle auszahlen kann sich Abwärmenutzung erst, wenn sie sich energie- und kosteneffizient sowie umweltverträglich nutzen lässt. In Nordeuropa teils Realität, stellt sich in Deutschland die Infrastrukturfrage. So soll der Frankfurter Energieversorger Mainova zwar mit Abwärme aus einem Datacenter rund 60 Prozent von 1.300 Neuwohnungen versorgen, aber noch fehlt hier die Marktreife und es bleibt vorerst ein Pilotprojekt unter den großen Colocation-Rechenzentren.
Offen ist zudem, wie sich Abwärme auf das Klima und die Temperatur in den Städten auswirkt. Hier fehlen bislang belastbare Daten. Das Gebot sollte somit auch sein: Abwärme nicht nur weiter zu nutzen, sondern sie zu vermeiden und zum Beispiel mit effizienten Kühltechnologien bestmöglich zu minimieren. Die Nutzung von Abwärme ist auch daher zu diskutieren, da Wärme meist im Winter benötigt wird. Dann lassen sich Datacenter über eine moderne freie Kühlung effizient mit minimaler Abwärme kühlen. Kalte Gegenden als Standort zu wählen, klingt sinnvoll. Eine Option für Neubauten, doch bestehende Datacenter werden im Regelfall 20 bis 30 Jahre an einem Standort betrieben. Zudem bringt die Nähe zu Ballungsgebieten entscheidende Vorteile: neben dem Anschluss an eine hochsichere Energieversorgung vor allem durch die Anbindung an ein gut ausgebautes Glasfasernetz. Nicht ohne Grund haben sich um den weltgrößten Internetknoten DE-CIX in Frankfurt am Main mit Abstand die meisten Datacenter in Deutschland angesiedelt.
Cool bleiben – aber wie?
Die Kühlung ist aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs gleichzeitig ein Hauptansatzpunkt für CO2-Einsparungen. Ohne alternative Kältemittel werden sich Klimazielvorgaben kaum einhalten lassen – das fordert sowohl Rechenzentren als auch Hersteller. Noch immer werden zur Kühlung teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW) mit hohem Treibhauspotenzial verwendet. Die EU-Verordnung (Nr. 517/2014) hat bereits einen HFKW-Phase-Down bis zum Jahr 2030 auf den Weg gebracht. Das Umweltbundesamt fordert mit der Zertifizierung „Blauer Engel für Colocation Rechenzentren“ die Verwendung von halogenfreien Kältemitteln (wie Ammoniak oder Propan). Doch noch sind Rechenzentren bei der Kühlung spezieller Sektoren nach wie vor auf halogenhaltige Mittel angewiesen. Die Entwicklung weiterer klimafreundlicher Alternativen, die zudem einen hohen Wirkungsgrad mitführen, ist hier dringend gefragt.
Eine „natürliche“ Kühlung von Racks hingegen ist möglich: Microsoft etwa versenkt Datacenter im Meer. Eine Option, aber nicht überall machbar. Zudem werden Wasserressourcen belastet. Andere Betreiber setzen auf Immersion Cooling (Flüssigkeitstauchkühlung) – das Eintauchen in eine wärmeleitende, nicht elektrisch leitfähige Flüssigkeit – sowie auf eine klimafreundliche Freiluftkühlung, wie sie auch bei maincubes zum Einsatz kommt. Ein bei FRA01 installiertes System nach dem „Kyoto Cooling“-Prinzip erreicht so eine jährliche Gebäudeklimatisierung von bis zu 90 Prozent. Für FRA02 ist zudem ein Kühlwandsystem mit wasserdurchströmten Wärmetauschermodulen geplant, bei dem eine zusätzliche Kühlung nur im Bedarfsfall modular hinzugeschaltet wird – ein Plus für mehr Energieeffizienz.
Grüner Strom – aber woher?
Die Branche muss auch bei der Stromversorgung Verantwortung übernehmen und die Segel in Richtung mehr Nachhaltigkeit setzen – doch die Ziele lassen sich nur mit Tatkraft erreichen. Ein Beispiel: Der Energiebedarf von Rechenzentren in Europa ist zwischen 2010 und 2020 um 55 Prozent gestiegen, hierzulande verbrauchen die laut einer Borderstep-Studie aus 2020 rund 50.000 Rechenzentren jährlich so viel Energie wie Berlin, die Datacenter in Frankfurt am Main bereits mehr Strom als der Frankfurter Flughafen. Ein Ziel: mehr Energie aus erneuerbaren Energiequellen. Pilotprojekte gibt es: windCORES baut Rechenzentren in Windräder, Windcloud eröffnete 2020 ein mit Windenergie und Solar- und Biogasstrom versorgtes Rechenzentrum inklusive Algenfarm. Diese Projekte sind ein guter Schritt in die richtige Richtung. Sie können aber im Kapazitätsvergleich mit den Frankfurter Rechenzentren noch keine Alternative darstellen. Die Zulassungen für die Windenergie gingen übrigens in Deutschland 2020 zurück: 40 Prozent weniger als noch 2015 – mehr Rückenwind seitens der Politik wird bereits gefordert.
Positiv stimmt auf den ersten Blick zumindest eine Prognose des erwähnten Borderstep-Instituts: Bis 2030 wird für Europa mit einem Rückgang der Treibhausgas-Emissionen um 30 Prozent gerechnet. Nicht in Deutschland: Hier geht es in der Stromerzeugung langsamer voran, da bei aktueller Gesetzeslage der Kohleausstieg noch bis zum Jahr 2038 dauern kann. Noch 2019 lag der Anteil von Braun- und Steinkohle am Erzeugungsmix Strom bei etwa 33 Prozent – ein schnellerer Ausstieg könnte daher auch zum schnelleren Absinken der CO2-Emissionen von Rechenzentren führen. Einen Schub gibt möglicherweise der neue EU-Klimaplan „Fit for 55“: Danach sollen Gratis-Zuteilungen von Emissionsrechten gekürzt und die Gesamtzahl der Klimazertifikate reduziert werden. Der Zertifikatpreis steigt, macht Kohlekraftwerke weniger rentabel und könnte erneuerbare Energien pushen.
Weg von den Positionspapieren!
Liest sich das alles ambitioniert? Ja. Ist es unmöglich? Nein. Für die Umsetzung braucht es jedoch vor allem Handlungen statt nur Positionspapiere. Politik, Branchenverbände und Hersteller stehen in der Pflicht, gemeinsam realistische Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Collaboration ist der Schlüssel und Konkurrenzdenken verhindert die Wende. „Das Wir gewinnt“ ist auch ein Motto von maincubes. Die eigenen Rechenzentren so klimaneutral auszustatten wie möglich und sich auszutauschen, wie man Klimaschutzvorgaben erreichen kann – so etwa als Mitglied bei VIRZ, dem Verband Innovatives Rechenzentrum e. V. oder der Open Compute Project Foundation.
Der Einsatz lohnt sich: Rechenzentren sind die Basis für den Einsatz digitaler Technologien, die allein in Deutschland zu knapp 60 Prozent zum Erreichen der bis 2030 angestrebten Klimaziele beitragen können, so eine Bitkom-Studie. Auf EU-Ebene verglich Kommissionspräsidentin von der Leyen ihren Green Deal mit der Mondlandung. Es wird Zeit, eine solche „grüne Rakete“ nicht nur zu bauen – sondern sie auch erfolgreich auf die Reise zu schicken. Und aus eigener Kraft CO2-neutral zu werden, nicht nur auf Papier oder mit Klimazertifikaten.